Wie geht schlechter Sex?
Impressionen der Xplore 2017
von Christine Janson (Kommentare: 0)
Seit 12 Jahre gibt es jetzt die Xplore: ein einzigartiges Festival der kreativen Sexualität, der intensiven Begegnung mit Gleichgesinnten und des erotischen Selbstausdrucks. "Ich war bereits bei der allerersten Xplore dabei", erinnere ich mich, als ich im Zug nach Berlin sitze. Ich arbeite auf meinem Laptop, fühle mich ziemlich gestresst und frage mich: "Brauche ich das jetzt wirklich? Eigentlich habe ich wichtigeres zu tun..." Diesmal soll das Festival mit diversen Workshops aus den Bereichen Tantra, SM, Performance und Körpertherapie unter dem Motto GRAZIE stattfinden...
Schamanische Orgie der Seelen
Die Xplore findet auf dem Gelände der Alten Börse Marzahn in Berlin statt und das beste Hotel vor Ort ist das Ibis Budget. Bei der Registrierung vor Ort schaue ich mich um und begrüße alte Bekannte. Eine "gelbe Banane" läuft an mir vorbei, ein älteres Paar schlendert Händchen haltend über das Gelände - sie trägt ein pinkfarbenes Latex-Korsett und er einen schwarzen Lederrock. Ein junges Mädel in ausgefransten Hotpants schlürft einen Kaffee zum Aufwachen. Es gibt die unterschiedlichsten Besucher auf der Xplore und das finde ich so anregend. Da mir die Frühstückseier noch schwer im Magen liegen, verzichte ich auf das morgendliche Nackt Yoga. Zum einen kann ich mir hüllenlose Verrenkungen gerade nicht vorstellen und außerdem braucht man dazu einen Partner und ich bin ja alleine hier. Ich wähle stattdessen den verführerisch klingenden Workshop: "Schamanische Orgie der Seelen" und Zanicca Soledad will uns mit tantrischen Tanz- und Bewegungsübungen aufwärmen. Ihr forsches Auftreten ist mir zum Ankommen fast etwas zu heftig. Doch dann denke ich mir: "Christine, lass dich einfach mal drauf ein..." Ein netter junger Mann mit Hipster-Bart tanzt neben mir und wir sollen miteinander Kontakt aufnehmen, ohne uns zu berühren. Durch diese Einschränkung entsteht eine intensive Begegnung und wir müssen uns was einfallen lassen, um berührungslos miteinander zu kommunizieren. Ich liege auf dem Boden, er schaut mir in die Augen, sein Gesicht kommt immer näher ... fast möchte ich ihn küssen. Doch das wäre zu schnell und wir dürfen uns ja nicht berühren. Nur seine Barthaare streichen sanft über mein Gesicht und verursachen ein erotisches Kribbeln in meinem ganzen Körper.
Was für ein schöner Anfang! Mein Herz und mein Körper sind offen für neue Abenteuer. Das Spannende an der Xplore ist der ständige Wechsel zwischen intimen Begegnungen und dann heißt es auch schon wieder Abschied nehmen und loslassen. Im nächsten Workshop sieht man dann evtl. den vorherigen Übungspartner mit jemand anderem knutschend in der Ecke liegen. Es geht darum den Augenblick zu erleben...
Machtvolle Unterwerfung
Bei erotischen SM-Spielen gibt es meistens einen dominanteren und einen unterwürfigeren Part. Aber ist es wirklich immer so, dass der scheinbar "Schwächere" in der unterlegenen Position ist? Ich habe eine Freundin, die sich gerne als "Opfer" sieht, dabei finde ich sie ziemlich stark und meistens bekommt sie genau das, was sie sich wünscht. Nur ihr Selbstbild ist ein ganz anderes. In dem Workshop "Machtvolle Unterwerfung" will Rosie Enora Heart uns beibringen, dass wir auch in der passiven Rolle Macht besitzen und es geht um erotische Kommunikation. Der "passive" Übungspartner soll dem "aktiven" Partner genau kommunizieren, was er braucht, um sich gut zu fühlen. Sicherlich eine Übung, die über den SM-Bereich weit hinaus geht und für alle Paare interessant wäre.
Ich suche mir eine nette Engländerin mit einem Schmetterlings-Tatoo auf der Schulter als Übungspartnerin, denn mit ihr fühle ich mich sicher. Immerhin soll es auch um typische SM-Praktiken gehen, wie Schlagen, beißen oder kratzen. Ich dachte früher immer, ich kann mit jedem Menschen Übungen machen. Aber dann hatte ich mal ein schlimmes Erlebnis mit einem völlig unsensiblen Mann, der zum ersten Mal auf der Xplore war und meinte, Dominanz bedeutet, dass man den anderen schikanieren kann, ohne jegliche Nähe oder Vertrauen aufzubauen. Unsere Übungen musste ich damals abbrechen.
"Was hättest du jetzt gerne?", fragt mich die Engländerin und ich muss mich anstrengen, dass ich genau formuliere, was ich jetzt brauche. Mir wird bewusst, dass es mir viel leichter fällt, die Wünsche anderer zu erfüllen, als meine eigenen Bedürfnisse zu artikulieren. "Schlag mich als erstes auf die Arme mit deiner flachen Hand und streichle mich dazwischen zart!", weise ich sie an. Auch Kritik gehört zum guten Vorspiel dazu", ermuntert uns die Leiterin. "Am besten macht ihr euch ein Codewort aus, z.B. ORANGE. Dann kommt das besser rüber und zerstört nicht die Spielatmosphäre." Das klingt in wenig albern, finde ich, aber ich versuche es. "ORANGE! Nicht so mechanisch", korrigiere ich meine Übungspartnerin. "Ich möchte, dass du mich überraschst und ich nicht weiß, welche Berührung als nächstes kommt." Es fühlt sich zunächst ein wenig seltsam an, aber es funktioniert und Kritik fällt mir jetzt leichter. Und schließlich wünscht sich jeder richten guten Sex, oder? Und das lässt sich üben...
Richtig schlechter Sex
Peter Banki kenne ich schon lange und was ich an ihm mag, ist seine Radikalität und seine Bereitschaft zu provozieren. und immer wieder Grenzen auszutesten, die von gesellschaftlicher Moralvorstellungen vorgegeben werden. Aber es gibt auch innerhalb jeder Subkultur "ungeschriebene Gesetze", an die man sich zu halten hat, wenn man dazugehören möchte. Diese Regeln zu durchbrechen ist fast noch schwieriger und subtiler. Deshalb wollte ich beim Workshop "Richtig schlechter Sex" mitmachen. Ich fand den Titel lustig, denn wer will schon schlechten Sex haben? Peter zeigte sozusagen als "Vorspiel" ein selbstgemachtes Video von sich paarenden Kuscheltieren. Ein Häschen vögelt einen Teddy - der eine mag es lieber langsam und sanft und dem anderen kann es nicht hart genug sein. Ein alltägliches Szenario. Wer von Beiden ist denn nun schlecht im Bett? "Vielleicht gibt es gar keinen schlechten Sex", versuche ich zu diskutieren. Es kommt evtl. nur auf den passenden Partnern an.
Wir sollen auf ein Papier aufschreiben, was für uns zum "Schlechten Sex" dazugehört. Anschließend wird laut vorgelesen und in Kleingruppen sollen wir einige Beispiele von schlechtem Sex als Rollenspiel inszenieren. Es stellt sich heraus, dass für die meisten im Raum "mangelnde Kommunikation" ein Indiz für schlechten Sex ist. Das gilt sowohl auf körperlicher, als auch auf geistiger Ebene. Außerdem melden sich einige Frauen zu Wort, die sich beim Sex dem Mann zu sehr anpassen und ihn nicht enttäuschen wollen.
Ich bin in einer 4er Gruppe mit einem Paar und einem alten Bekannten, den ich schon oft in der Schwelle 7 getroffen habe. "Ich habe oft keine Lust auf Sex, aber ich mache einfach mit, weil mein Partner sonst enttäuscht ist", sagt SIE. "Ich hasse es, wenn ich zurückgewiesen werde oder mich kritisiert fühle. Dann verliere ich die Lust", sagt ER. Mein Bekannter und ich sollen diese Szene originalgetreu nachstellen. Da wir uns attraktiv finden, ist das schwer. Ich versuche ihn zu kritisieren: "Du bist mir zu schnell", nörgle ich und unterbreche damit seine ungestüme Leidenschaft. Das ärgert ihn - aber er lässt sich nicht zurückweisen. Ich versuche in körperlich weg zu stoßen, aber da ich es genieße von ihm umarmt zu werden, bleibt es bei einem halbherzigen Versuch. Thema verfehlt! Wir genießen es, ein wenig miteinander rum zumachen und dann ist die Übung auch schon beendet. Ich muss sagen ... schlechter Sex kann wirklich gut sein!! ;-)
Unterwürfige Ziegenböcke und andere Monster
Außer den zahlreichen Workshops gibt es viele Möglichkeiten, sie auf der Xplore kreativ und erotisch umzusehen. Vor allem die "Insider", die schon jahrelang in der Schwelle 7 miteinander experimentiert haben, vergnügen sich oft außerhalb des offiziellen Rahmenprogramms. Auf dem Gelände gibt es einen sogenannten Silent Space, in dem man einfach nur liegen und entspannen kann oder sich auch mit dem Partner gegenseitig beglückt. Alles ist erlaubt! In einem "Porno-Raum" kann man sich von einem professionellen Kamerateam mit seiner Lieblingsfantasie ablichten lassen oder auch einen eigenen Pornodreh veranstalten. Zuschauer und Mitspieler erwünscht! Eine Weile habe ich mir angesehen, wie ein nackter Mann sich seinem Lieblingsfetisch hingibt und sich mit Elektroschocks stimulieren lässt. Aber nach einer Weile ist mir das zu heftig! Schmerz mag ich nur zusehen, wenn ich auch die offensichtliche Lust spüren kann bei dem Gegenüber. Aber das kommt bei diesem Dreh nicht so gut rüber.
Viel lieber möchte ich mich im Urwald Play Space umsehen. Dazu benötige ich allerdings ein passendes Kostüm, sonst werde ich nicht hineingelassen. Im Styling Room kann man sich Kostüme ausleihen. Aber ich finde nichts passendes für mein Abenteuer im "Monster und Dämonen - Dschungel" und deshalb muss ich die Dame am Eingang erfinderisch bequatschen. Dieser Play Space Raum ist so begehrt, dass ich 30 Minuten anstehen muss, um eingelassen zu werden. "Ich bin ein Alien von einem anderen Stern und möchte die Ur-Instinkte der Menschen in Urwäldern erforschen", stelle ich mich vor. Nachdem ich versprochen habe, den Menschen als Dank auch beizubringen, wie sie den eigenen Körper magisch verändern können und sich z.B. einen Doppelpenis oder drei Brüste wachsen lassen können, werde ich eingelassen. Ich krieche durch eine enge Röhre und finde mich in einem schwarzen Spinnennest wieder. Ein ausgewachsenes "Bonobo-Äffchen" begrüßt mich unten ohne und möchte, dass ich seinen erigierten Schwanz anfasse. Dazu habe ich keine Lust und winde mich durch einen Wald von weißen Lianen, die mich in eine andere Parallelwelt bringen. Auf dem Boden liegt Heu und hier finde ich eine attraktive Herrscherin, die einen unterwürfigen "Ziegenbock" mit Ihren hohen Absätzen malträtiert. Das gefällt mir schon besser und ich lasse mir von dem gehörnten Sklaven die Füße massieren. Zur Belohnung darf er dann auch kurz meine Zehen lecken! An mir flanieren Riesenspinnen und gelbe Bananen vorbei, die an Kondome erinnern. Wir lachen viel und anschließend versuche ich durch das Labyrinth wieder ins Freie zu gelangen - an aufgehängten und mit Wasser gefüllten Luftballons vorbei! Was für ein kreatives Spektakel!!
Im Inneren des Drachen
Am dritten Tag begegne ich wieder meinem jungen Tänzer mit dem Hipster-Bart bei einem Workshop und wir unterhalten uns ein wenig. Er ist wirklich nett! Wenn man allein auf der Xplore ist, dann ist es einerseits ein aufregendes Abenteuer und andererseits muss man für manche Workshops auch schnell den passenden Partner organisieren, um Spaß zu haben. Das kann manchmal auch ein wenig anstrengend sein. Ich frage Hipster-Bart, ob er Lust hat, später mit mir das "Göttinnen-Ritual Im Inneren des Drachen" gemeinsam zu besuchen. "Ja klar! Kein Problem", sagt er. "Aber ICH möchte als Göttin verehrt werden." Einen Moment bin ich sprachlos, denn eigentlich war das wohl eher so gedacht, dass die Frauen von Männern verwöhnt werden, aber ich bin ja flexibel. Wir verabreden uns für später und treffen uns dann im "Göttinnen-Ritual-Raum". Dort ist noch "Work in Progress" und die Veranstalterinnen noch nicht ganz fertig. Dafür ist bereits das Kamerateam vor Ort, wie bei einigen anderen Workshops auch. Es wird aber nicht für RTL gefilmt, sondern einzig für den Veranstalter und das möchte ich gerne unterstützen. Trotzdem schreckt das einige Teilnehmer sogleich ab, aber mein Hipster hält noch tapfer durch. Eigentlich gibt es nur wenige Anweisungen der Leiterin Juliette Dragon. Auf einem Tisch befinden sich Federn, Früchte, Haarbürsten, Tücher und andere Dinge, um die "Göttinnen" zu verwöhnen. Die Göttinnen haben die Augen geschlossen und wenn ihnen die "Verehrung" nicht mehr gefällt, dann öffnen sie die Augen und die Dienerinnen sind gefeuert vom Göttinnendienst. Ich bemühe mich, meiner Göttin Gutes zu tun, streichle sie mit gefärbten Federn, flöße Ihr Wasser durch die trockenen Lippen ein und dazwischen schwirrt das Kamerateam um uns herum. Es macht trotzdem Spaß und am Ende möchte die erschöpfte Göttin zugedeckt werden und entspannen.
Richtig Böse sein
Ich liebe die Gegensätze auf der Xplore: einen Moment lang geht es um Verehrung und Zärtlichkeit und im anderen Moment darf man so richtig böse sein. Das Interessante ist, dass Beides letztendlich kein Widerspruch ist. Beim bewussten SM-Spiel sollte man genauso respektvoll miteinander umgehen, wie bei einem Tantra-Ritual wie z.B. der "Göttinnenverehrung". Ob die körperliche Zuwendung aus zärtlicher Berührung besteht oder liebevoll Lustschmerz zugefügt wird, ist letztendlich egal. Hauptsache es gefällt allen Beteiligten. Der Workshop "Böse sein" wird wieder von Peter Bankl abgehalten, der sich auch diesmal wieder mit Tabus auseinandersetzen möchte. Diesmal sind es eher die Tabus innerhalb der Szene: wie risikofreudig darf man beim BDSM miteinander umgehen? Wo liegen die Grenzen zwischen Spiel und Ernst? Wo beginnt echte Gemeinheit und gespielter Zorn?
Die Teilnehmer sollen sich in zwei Kreisen gegenüberstehen und nur mit Blicken verschiedene Emotionen ausdrücken. Ich bin erstaunt, wie gut das funktioniert. "Wenn Blicke töten könnten...", heißt ein Sprichwort und so fühle ich mich auch. Letztendlich ist es nicht die Peitsche in der Hand, die einen Menschen dominant macht, sondern seine Präsenz. Die zeigt sich in der körperlichen Haltung und auch in der gefühlten Autorität und Macht! Für viele Menschen hat "Macht" einen unangenehmen Beigeschmack, dabei ist es letztendlich auch eine Auseinandersetzung mit unseren Urinstinkten und dabei geht es auch bei dem anschließenden Gruppenspiel.
Man kann sich entweder dem inneren Kreis anschließen und sich in der Rolle von DOM oder SUB einfinden und im allgemeinen Raum dem erotischen Spiel hingeben oder man kann aus "sicherer" Entfernung zusehen. Irgendwann gibt es auf Anordnung des Gruppenleiters keine Sicherheitszone mehr und jeder wird zum Gejagten oder Jäger. Das erinnert an den Film "The Purge" Da dieses Experiment auf der Xplore in einem sicheren Rahmen stattfindet, habe ich keine Angst und kann mich einfinden. Es geht ein wenig rauer zu, als in anderen Workshops. Jemand versucht mir meine Gerte abzunehmen, aber ein anderer Mann eilt mir zu Hilfe und verteidigt mich. Ich setze mich durch und es war eine intensive Erfahrung. Am nächsten Tag gibt es noch eine Steigerung zu dem Workshop: RICHTIG BÖSE SEIN. Wie ich gehört habe, lief er ein wenig aus dem Ruder ... leider war ich nicht persönlich dabei. Schade, dass man sich bei der Xplore nicht zerteilen kann...
Am nächsten Tag sitze ich wieder im Zug - diesmal in Richtung Frankfurt. Ich schließe die Augen und lasse noch einmal die Erlebnisse der abschließenden Play Party an mir vorüberziehen: nackte Menschen vereinen sich im Silent Space, im flackernden Licht unzähliger Kerzen flanieren in Leder gekleidete Dominas mit ihren gefesselten Sklaven, dominante Herren führen Ihre nackten Gespielinnen vor. Ich fühle mich wie im alten Rom! Wollüstige Schreie durchbrechen die Stille und inmitten des Raums thront - voller Grazie und Anmut - Felix, der Gebieter des Abends, und schaut dem Treiben zu. Dies hier ist kein banaler Swingerclub, es ist auch kein SM-Szene-Treff. Es ist ein Ort, am dem man so sein darf, wie man sich fühlt!
Soll ich jetzt wirklich wieder nach Hause fahren? Lohnt sich das wirklich? Ich weiß jetzt wieder, worauf es im Leben wirklich ankommt: mit allen Sinnen lebendig sein! Danke Felix, delta und Caprice und alle anderen Mitwirkenden für dieses wunderschöne und intensive Event!
Infos: www.2017.xplore-berlin.de
Übrigens: Es werden noch Investoren gesucht zum Kauf eines Gewerberaums auf dem Gelände! Damit unterstützt Ihr natürlich auch dieses ganz besondere Event! Anfragen unter: felix@felixruckert.de
Alles Liebe von
Christine
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